Microsoft wertet Studienergebnisse aus und warnt: Späte E-Mails und Meetings boomen. Warum Dauererreichbarkeit kein Commitment beweist – und was Unternehmen besser machen können.

Die neue Microsoft-Studie macht deutlich, was viele längst spüren: Die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen zusehends. 40 % der Befragten rufen bereits vor 6 Uhr ihre E-Mails ab. Meetings am Abend haben um 16 % zugenommen. Auch in der Schweiz kennt jede:r Berufstätige diese leisen Push-Mitteilungen spätabends – verbunden mit der Frage: Muss ich das jetzt noch beantworten?

Was als flexible Arbeitsgestaltung begann, entwickelt sich zunehmend zu einer Dauerverfügbarkeit – oft unausgesprochen, aber wirksam. Besonders in hybriden Arbeitsmodellen oder dezentralen Teams verstärken sich diese Effekte. Die Folge: ein steigendes Risiko für Überlastung und stille Erschöpfung.

Warum späte E-Mails mehr kosten als sie nützen

Eine einzelne E-Mail um 22:17 Uhr wirkt harmlos. Doch Studien zeigen: Die psychologische Wirkung ist nicht zu unterschätzen. Wer ausserhalb regulärer Zeiten Nachrichten empfängt, fühlt sich unter Druck – selbst wenn keine sofortige Antwort erwartet wird. Dieses Phänomen nennt sich „telepressure“.

Mit anderen Worten: Teledruck ist das Gefühl des Drucks, sofort auf elektronische Nachrichten (E-Mails, Textnachrichten usw.) zu reagieren, sei es bei der Arbeit oder im Privatleben, und die ständige Beschäftigung mit diesen Antworten

Langfristig kann dies zu Schlafproblemen, Erschöpfung und dem Gefühl permanenter Anspannung führen. Die erhoffte Produktivitätssteigerung wird so zum Gegenteil. Selbst ambitionierte Fachkräfte verlieren an Konzentration, Kreativität und Motivation. Was bleibt, ist ein Gefühl von Zerrissenheit – zwischen Jobverantwortung und dem Wunsch nach echter Freizeit.

Schweizer Realität: Zwischen Eigenverantwortung und Erwartungsdruck

Die Schweiz gilt als Land mit hoher Arbeitsmoral und einem starken Fokus auf Eigenverantwortung. Das ist ein Plus – birgt aber auch Risiken. Während Länder wie Frankreich ein gesetzlich verankertes „Recht auf Abschalten“ kennen, fehlen in der Schweiz verbindliche Regelungen. Es liegt am Unternehmen – oder gar an der einzelnen Führungskraft –, klare Rahmenbedingungen zu schaffen.

Gleichzeitig zeigen Studien: Dort, wo Unternehmen Regeln zur Erreichbarkeit einführen, steigt die Zufriedenheit der Mitarbeitenden signifikant. Wer seine Ruhezeiten schützen kann, bleibt leistungsfähiger und gesünder – gerade in einer Gesellschaft, die auf langfristige Beschäftigungsfähigkeit setzt.

Was Unternehmen konkret tun können

Es braucht keine starren Verbote, sondern einen Kulturwandel – und den können Unternehmen aktiv gestalten. Vielleicht mit einigen dieser Ansätze:

  • Kommunikationsregeln etablieren: Keine dienstlichen E-Mails zwischen 20 und 7 Uhr – oder nur mit Zeitversand-Funktion.
  • Vorbildfunktion der Führungskräfte: Wer um Mitternacht schreibt, sendet ein starkes Signal – ob gewollt oder nicht.
  • Teamvereinbarungen zur Erreichbarkeit: Klare Absprachen im Team geben Sicherheit und senken den Druck.
  • Technische Tools nutzen: Kalender mit Ruhezeiten, Statusanzeigen oder automatische Antworten helfen beim Schutz der Freizeit.
  • Aufklärung & Reflexion: Workshops oder kurze Impulse zum Thema digitale Präsenz schaffen Bewusstsein – ohne moralischen Zeigefinger.

Fazit: Klarheit schaffen, Gesundheit schützen

E-Mails nach 22 Uhr sind selten ein Zeichen von Effizienz – sie sind oft ein Symptom fehlender Grenzen. Wer das Thema aktiv angeht, fördert nicht nur die Gesundheit der Mitarbeitenden, sondern stärkt auch die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.

Gerade in der Schweiz, wo Vertrauen und Eigenverantwortung eine zentrale Rolle spielen, lohnt sich ein bewusster Umgang mit Erreichbarkeit. Denn echte Leistung entsteht dort, wo Menschen abschalten dürfen – und am nächsten Tag mit klarem Kopf neu beginnen können.

Was Stellensuchende wissen sollten – und wie sie klug nachfragen können

Für Menschen im Stellenwechsel stellt sich eine heikle Frage: Wie kann ich im Bewerbungsprozess klären, wie das Unternehmen mit Erreichbarkeit ausserhalb der Arbeitszeit umgeht – ohne den Eindruck zu erwecken, ich sei nicht flexibel oder wenig engagiert?

Der Schlüssel liegt in der fragenden Neugier statt in der direkten Forderung. So lassen sich Hinweise auf Unternehmenskultur, Führungshaltung und Teamdynamik gewinnen. Zum Beispiel mit Fragen wie:

  • „Wie gestalten Sie bei Ihnen die Zusammenarbeit in hybriden Teams – gibt es definierte Kommunikationszeiten oder Teamregeln für Erreichbarkeit?“
  • „Wie sorgen Sie in Ihrem Unternehmen dafür, dass Mitarbeitende konzentriert arbeiten und gleichzeitig gut abschalten können?“
  • „Gibt es bei Ihnen Instrumente wie E-Mail-Zeitversand oder Ruhezeiten in der Kalenderführung?“

Solche Fragen signalisieren nicht mangelnden Einsatz – sondern Bewusstsein für gesunde Leistung, Selbstführung und langfristige Wirksamkeit. Eigenverantwortung wird in vielen Stellenanzeigen als gewünschte Kompetenz beschrieben, so können die Fragen sogar ein Pluspunkt sein. Wer bewusst fragt, zeigt Haltung – und das ist oft überzeugender als Zurückhaltung.

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