Das Thomas-Theorem ist eine grundlegende, aber äusserst komplizierte Idee aus der Sozialpsychologie. Das Konzept beschreibt, wie unsere Wahrnehmung die Realität formt und sich in einem endlosen Kreislauf aus Wahrnehmung, Reaktion und Konsequenz manifestiert.

Die Soziologen Dorothy Swaine Thomas und William Isaac Thomas entwickelten dieses Theorem, das besagt, dass das Verhalten von Menschen eher durch ihre subjektive Konstruktion der Realität als durch die objektive Realität bestimmt werden kann.

Das Thomas Theorem zeigt auf: „Wenn Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real“ (Thomas und Thomas 1928). Oder wie wir das heute auch sagen würden: „Wenn die Menschen Situationen als wirklich definieren, sind sie in ihren Konsequenzen wirklich.“

Was bedeutet das im Führungskontext in den Unternehmen?

Wir wissen, dass menschliches Handeln, unabhängig davon, wie irreal die ursprüngliche Wahrnehmung einer Situation war, reale Konsequenzen hat. Entscheidungen liegen so nicht nur objektive Fakten, sondern eben auch die subjektive Definition einer Situation zugrunde.

Diese Definitionen können sogar scheinbar falsch sein, aber dennoch echte Auswirkungen haben, indem sie das Verhalten beeinflussen.

Beispielsweise könnten Mitarbeitende, denen immer wieder die Bezeichnung „Überflieger, Spieler, Penner“ gegeben werden, diesen Begriffen gerecht werden, auch wenn dies ursprünglich nicht Teile ihres Charakters waren.

Das Theorem steht in einer starken Verbindung mit der Idee der self-fulfilling prophecy, wonach Erwartungen sich erfüllen, weil sie das Verhalten beeinflussen.

Vorgesetzte neigen unbewusst dazu, Kandidaten auszuwählen, die ihren eigenen Merkmalen ähneln, was dazu führen kann, dass Frauen oft geringere Chancen auf die Position haben. Wenn das passiert, beschreibt man das als den Thomas-Kreislauf im Unternehmen. Ein Führungsteam besteht aus mehreren Personen, die scheinbar alle einem gleichen Muster entsprechen. Das bedeutet, dass Alter, Herkunft, Bildungshintergrund und manchmal auch die Hobbys ähnlich sind.

Die Gefahr des «Thomas-Kreislauf»

Dieses immer wieder «Mehrdesselben» kann zu einem Mangel an Vielfalt führen, der die Innovationsfähigkeit und die Entscheidungsfindung eines Unternehmens beeinträchtigt. Es fehlt in dieser Umgebung ein Raum, der Vielfalt und Inklusion fördert. Unternehmen stoppen sich selbst. Effektives Arbeiten und der Aufbau einer starken Unternehmenskultur werden immer schwieriger und die Mitarbeitenden-Bindung und -Zufriedenheit kann Schaden nehmen.

Wenn die Führungsebene des Unternehmens sich nur auf Kandidaten konzentriert, die ihren eigenen Hintergrund, ihre Erfahrungen und ihre Denkweise widerspiegeln, könnten sie talentierte Personen übersehen. Das sind die Personen, die eine andere Perspektive, neue Ideen und somit auch neue Handlungsfelder mit einbringen könnten.

Vielfalt im Unternehmen ist ein Garant dafür, dass Stagnation im Arbeitsumfeld verhindert wird und neue Herausforderungen erfolgreich bewältigt werden können. So kann langfristig das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gefestigt werden.

Netzwerk Kadertraining meint dazu

Wir begegnen Menschen, die wir auf dem Karriereweg begleiten, die ab und zu die negativen Auswirkungen dieses Phänomens begegnet sind. Teilweise, weil sie nicht für Stellen und Aufgaben eingestellt werden, da sie möglicherweise nicht genug Ähnlichkeiten mit der Führungskraft aufzeigen konnten. Das ist bitter und doch können wir dann sicher auch beruhigen, weil wir andererseits auch die Erfahrung haben, dass es zu sehr vielen Schwierigkeiten kommen kann. Wenn Mitarbeitende neue und andere Ideen, Arbeitsweisen und Vorgehensweisen haben, die sich von dem, was die Führungskraft kennt, abweichen, wird es oft noch bitterer.

Nicht selten kommt es zu Missverständnissen und Kommunikationsproblemen, was die Effizienz und Zusammenarbeit mit dem Vorgesetzten beeinträchtigen kann. Die Aufgabenverteilung wird schwierig. Die Führungskräfte können dann oft nicht die Fähigkeiten und Präferenzen der Mitarbeiterin, des Mitarbeiters verstehen. Es gelingt ihnen nicht, sie angemessen einzusetzen, was zu einer ungleichen Verteilung von Aufgaben und möglicherweise zu Frustration bei der Mitarbeitenden, dem Mitarbeitenden führen kann.

Das führt oft zu mangelnder Anerkennung und fehlender Unterstützung und das gegenseitige Verständnis fehlt. Die Folge davon kann sein, dass Engagement und Motivation der Mitarbeitenden beeinträchtigt werden.

Wenn der Vorgesetzte seine Mitarbeitenden aufgrund von Unterschieden in Persönlichkeit oder Hintergrund negativ wahrnimmt, könnten Vorurteile entstehen, die die berufliche Entwicklung und Aufstiegsmöglichkeiten der einzelnen Mitarbeitenden beeinträchtigen. So gehen Talente verloren.

Insgesamt kann der Mangel an Ähnlichkeiten zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzen zu einer Vielzahl von Herausforderungen führen, die das Arbeitsumfeld belasten und die Leistungsfähigkeit des Teams beeinträchtigen können.

Genau diese Erfahrungen schildern uns die Menschen, die in Positionen waren, in denen sie nicht die Möglichkeit hatten, sich ganz und gar einzugeben und ihre Potenziale zu leben.

Die Menschen, die dann die Unternehmen verlassen, quälen sich oft mit der Frage, «was stimmt mit mir nicht». Da kann der Hinweis auf den Thomas-Kreislauf Licht ins Dunkel bringen. Das verhilft, die Situation anders zu beurteilen und auf jeden Fall für die nächste Stellenzusage, genau diesen Punkt zu beachten.

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