«Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr».

Dieses alte Sprichwort gilt nicht und es stimmte sowieso nie. Lerntheorien und Hirnforschung haben längst die Erkenntnis gefestigt, dass Lernen in jeder Lebensphase notwendig und möglich ist – und immer wieder, ob bewusst oder unbewusst, auch passiert. Das menschliche Hirn ist unglaublich plastisch und lernfähig und entwickelt sich stets weiter.

Lernen, ob bei Kindern oder Erwachsenen, verläuft immer als Prozess, auch wenn wir das so nicht bewusst wahrnehmen. Wir lernen nicht linear, sondern fast immer sprunghaft mit Zwischenschritten von einem Niveau auf das andere. Darum ist es auch so wichtig, sich als erwachsene Person nicht entmutigen zu lassen, wenn etwas scheinbar noch nicht «so recht verstanden» wurde. Gerade in den Phasen, wenn etwas nicht recht zu klappen scheint, ist es wichtig, dranzubleiben.

Oft erwerben Menschen auch Kompetenzen, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Dieses spontane Lernen fällt gar nicht so auf. Da werden wesentliche Lernschritte durch Imitieren und Ausprobieren bewältigt und das neue Können ist einfach da. So lernen Kinder auf natürliche Weise von Vorbildern. Auch für Erwachsene gilt: Durch häufiges Probieren, Tun und Trainieren geht plötzlich der berühmte Knopf auf.

Im Leben wirst Du nie fertig mit dem Lernen und dem Aufbau und der Integration von neuer Erfahrung. Wir alle bekommen täglich neue Angebote, um zu lernen, zu trainieren und zu wachsen. In jeder Lebenssituation gibt es immer wieder etwas, was wir nicht wissen oder nicht können. Vielleicht ist es uns bewusst oder auch nicht.

So gesehen ist jeder irgendwie und irgendwann einmal inkompetent und steht vor einem Wissen, das andere haben und man selbst noch nicht. Das haben wir alle schon einmal erlebt und es ist völlig o. k. so. Das eröffnet Dir den Weg zum Lernen. Du kannst Dich entspannt auf den Weg begeben, um Dir Neues und Weiteres anzueignen.

Das Modell der Kompetenzstufenentwicklung zeigt Dir, wie der menschliche Lernprozess in vier Stufen unterteilbar ist. Das bedeutet, das alle Menschen, wenn sie etwas lernen, die folgenden vier Stufen durchschreiten:

1. Unbewusste Inkompetenz

Auf dieser Stufe des Lernens wissen wir nicht, was zu tun ist oder wie etwas zu tun ist oder noch nicht einmal, dass etwas zu tun wäre. Wir haben ein Defizit, wissen dies aber nicht. Wir ahnen noch nicht einmal, wie umfangreich die Lerninhalte sein können und was beispielsweise ein spannender Lernschritt sein könnte.

Beispiel: Gehen wir diesen Prozess doch mal mit dem Beispiel des Autofahrens durch. Ein kleines Kind realisiert noch nicht, dass es kein Auto fahren kann.

2. Bewusste Inkompetenz

Es kann der Punkt kommen, an dem wir dann realisierten, dass andere etwas können, was man selbst nicht kann. Damit können wir es zwar immer noch nicht, wir wissen aber schon mal, was möglich sein könnte. Wir erkennen, dass es dazu Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse braucht, die wir noch nicht haben. Wir können auch beurteilen, dass es Konzentration und Anstrengung braucht, eigene Lösungen für den Kompetenzaufbau zu finden.

Beispiel: Wenn das Kind älter wird, sieht es immer häufiger, wie Eltern und andere Auto fahren, und es wird ihm irgendwann bewusst, dass es nicht Auto fahren kann.

3. Bewusste Kompetenz

Alle Menschen können bewusst an ihrem Verhalten und ihrer Einstellung etwas verändern. Sie erfahren und reflektieren, dass es mit Mühen und Anstrengung verbunden ist, neues Verhalten, neue Handlungsweisen oder neue und erweiterte Denkweisen zu erlernen. Mit hoher Konzentration werden die neuen Dinge mit eigenen Lösungsansätzen erprobt und Zusammenhänge können immer schneller erfasst werden.

Beispiel: So auch beim Autofahren. Wer erwachsen genug ist und den Führerschein erwerben darf, übt und trainiert das Autofahren und lernt immer besser, mit dem Fahrzeug und den Verkehrsgegebenheiten umzugehen.

4. Unbewusste Kompetenz

In dieser Stufe ist das ehemals Neue erfasst, alle Handgriffe, das notwendige Wissen und die zielgerichteten Vorgehensweisen sind in Fleisch und Blut übergegangen. So ist das neu Gelernte internalisiert und die Menschen wenden ihr Wissen routiniert und ohne ein Nachdenken, wie das nun am besten funktionieren soll, an. Die einzelnen Aspekte haben sich zu Mustern und Gewohnheiten entwickelt.

Beispiel: Wenn die erwachsenen und geübten Fahrzeugfahrer dann in ihr Auto steigen, müssen sie nicht mehr darüber nachdenken, wie man Auto fährt. Sie tun es, ohne darüber nachzudenken. Es ist eine Kompetenz, die für sie automatisch abrufbar ist.

Dein eigener Umgang mit dem Lernen

Die Übergänge der vier Kompetenzstufen sind möglicherweise anspruchsvoll und können bisweilen sogar als unangenehm und schmerzhaft empfunden werden. Es lässt sich immer wieder beobachten, dass Menschen ärgerlich über sich selbst werden, wenn sie aus der Stufe der «unbewussten Inkompetenz» in die «bewusste Inkompetenz» gelangen. Oder auch, dass sie den Übergang von «bewusster Inkompetenz» zur «bewussten Kompetenz» als sehr mühsam empfinden.

Vielleicht weckt die Erfahrung des Nichtkönnens aber bei Dir eher Neugierde und Freude am bewussten Lernen. Möglicherweise entsteht in Dir dann eine «bewusste Kompetenz», die am Beginn noch etwas holprig wirkt. Oft ist dabei das Erreichen der nächsten Kompetenzstufe nur mit einem längeren Trainieren und dem wiederholten Zurückfallen ins «Nicht-Können» erreichbar. Das Neue ist zu Beginn noch fehleranfällig.

Wenn Dir auffällt, dass Du in Deine altvertrauten Muster zurückgefallen bist, darf Dich das bestärken, dass Du auf dem richtigen Weg bist. Durch wiederholendes Trainieren des neu Erlernten verinnerlichst Du Deine Kompetenzen. Sie werden Dir so selbstverständlich, dass sie automatisiert ablaufen und Du selbst unter Stress diese Kompetenzen ohne nachzudenken anwenden kannst. Dann hast Du das Stadium der unbewussten Kompetenz erreicht.

Wie Du das Modell für Dich nutzen kannst

Die Theorie der vier Kompetenzstufen basiert auf den ersten Veröffentlichungen aus dem Jahr 1969 von Martin M. Broadwell. In den späten 1970er Jahren entwickelte Noel Burch von Gordon Training International die Theorie weiter unter dem Namen «Die vier Phasen zum Erlernen neuer Fähigkeiten».

Das Modell hilft Dir, Dich als erwachsene Person als Lernende und Lernender zu begreifen und Deinen Kompetenzerwerb bewusst zu steuern. Und gerade das ist in unserer Zeit und unserer veränderten Lebens- und Arbeitswelt unabdingbar. Du kannst immer wieder neue Fähigkeiten aufbauen und perfektionieren. Du kannst dieses Modell als ein mächtiges Werkzeug für Deine berufliche Zukunft einsetzen.

Das Modell der vier Stadien des Erlernens von Fertigkeiten macht auch deutlich, dass wir einen grossen Teil unbewusst aus unserer unbewussten Kompetenz heraus erledigen. Wir haben unser Tun und unsere Denk- und Handlungsweisen so stark verinnerlicht. Das ist per se nicht schlecht und wir wollen und können das auch nicht ändern.

Für die Stellensuche und den Wechsel in eine neue Position im beruflichen Umfeld möchten wir hier drei Aspekte aus dem Modell herausheben, die Dir wichtige Hinweise geben können:

1. Formuliere, was Du besonders gut kannst und wie sich diese Kompetenzen zeigen

Es ist Deine Aufgabe, Deine unbewussten Kompetenzen zu identifizieren und so zu beschreiben, dass andere erkennen, wie das für sie von Nutzen sein kann. Du solltest sehr gut vorbereitet sein, um Deine Kompetenzen wirklich gut zu beschreiben.

Hier für Dich ein paar hilfreiche Fragen dazu:

  • Was hat Dir Deine bisherigen Erfolge ermöglicht?
  • Wie beschreibst Du Deine persönlichen Stärken?
  • Mit welchen Strategien warst Du bisher privat und beruflich erfolgreich?
  • Welche Kompetenzen und Potenziale sehen andere Menschen in Dir?
  • Welche Erfahrungen kannst Du aus Deinen erzielten Erfolgen ziehen, um zukünftige Herausforderungen zu meistern und Deine Ziele zu erreichen?

Wenn Du so eine Bewusstheit über Deine Kompetenzen gewinnst, steigerst Du Dein Selbst-Bewusstsein und zeichnest ein wertschätzendes, realistisches Bild von Dir und Deiner Leistungsfähigkeit. Du kannst mit dem Wissen um Dein Wissen Deine Fähigkeiten weiter ausbauen, vertiefen und gezielt einsetzen. Das ist der Weg in die Stärkung der Stärken.

2. Erkenne, wie Du persönlich am besten lernst und Dir Wissen aneignest

Bereite Dich darauf vor, dass man von Dir beim Stellenwechsel wissen will, wie Du Dich gegenüber Neuem verhältst und wie Du Neues lernst und Deine Kompetenzen immer wieder erweiterst.

Dafür hier einige hilfreiche Fragen zur Vorbereitung Deines persönlichen Storytellings:

  • Wie lernst Du, auch wenn der Leistungsdruck hoch ist und Stress oder die beruflichen Herausforderungen steigen?
  • Wie bist Du aufgestellt im agilen Umgang mit einer gesunden Work-Life-Balance?
  • Wie erfährst Du Dich im spontanen Lernen am Arbeitsplatz?
  • Kannst Du Dich darauf verlassen, auch von und mit anderen am «guten Beispiel» zu lernen, und hast Du dafür Beispiele?
  • Woran erkennst Du, dass Du Dich immer wieder gerne dem neuen Lernen widmest?

3. Bewusstheit beibehalten, dass Lernen immer wieder notwendig und unverzichtbar ist

Das Wissen aus der Erstausbildung veraltet immer schneller. Wir alle müssen ständig neu lernen, uns weiterbilden und dazu die richtigen Akzente setzen. Dabei ist es auch wichtig, sich für eventuelle künftige Aufgaben zu qualifizieren oder sich mit dem Wissen anderer zu verbinden.

Vielmals fangen wir eine Aufgabe an und sind teilweise in den Lösungsversuchen «unbewusst inkompetent». Wir glauben zu wissen, wie etwas am besten gelöst werden kann, wissen es aber nicht. Das nötige Wissen eignen wir uns mit Lernen, gezielten Fragen und Feedback von anderen an. Wer mit dieser Haltung an die Erledigung der Aufgaben geht, wird schneller neue Kompetenzen aufbauen.

Vorsicht vor dem Dunning-Kruger-Effekt!

Das kontraproduktive Halbwissen, das mit dem sogenannten Dunning-Kruger-Effekt beschrieben wird, sagt aus, dass inkompetente Menschen ihre eigene Inkompetenz nicht erkennen können und somit auch die Kompetenz anderer nicht sehen und würdigen können. Sie überschätzen dauernd die eigenen Kompetenzen, besitzen oft ein übersteigertes Selbstvertrauen und wollen dennoch ihre eigenen Kompetenzen nicht erweitern.

Lebenslanges Lernen

Dem gegenüber steht das Konzept des lebenslangen Lernens. Ganz gleich, ob Du damit Deine eigenen Interessen und Leidenschaften oder Deine beruflichen Ambitionen verfolgst, es kann Dir persönliche Erfüllung und Zufriedenheit bringen.

Es ist der natürliche Antrieb des Menschen, zu erforschen, zu lernen und zu wachsen. Suche das, was Dich inspiriert, was hilft, Deine eigenen Ideen und Ziele zu verwirklichen. Das verbessert Deine Lebensqualität, Deinen Selbstwert und das Wissen um Deine Selbstwirksamkeit.

Dank der vielen neuen technischen Möglichkeiten werden immer mehr innovative Lern- und Lehrmethoden geschaffen, die das selbstbestimmte, lebenslange und selbstgesteuerte Lernen ermöglichen.

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