Wer wettbewerbsfähig bleiben will, muss in Sachen Digitalisierung Gas geben. Das gilt für Unternehmen und Mitarbeitende gleichermassen.
Die Arbeit wird der Welt nicht ausgehen. Sie erfordert allerdings bessere Ausbildungen, permanente Weiterbildung und sie wird zunehmend intellektuell anspruchsvoller. Um erfolgreich smarter und flexibler zu werden, braucht es eigentlich nur konzentriertes Arbeiten sowie die Bereitschaft, Neues zu lernen und miteinander zu kooperieren. Klingt einfach wie ein Kuchenrezept. Ist es aber nicht. Dahinter öffnet sich die komplexe moderne Arbeitswelt mit ihren stetig neuen Anforderungen und vielen unbekannten Vorzeichen. Hier ein Scheinwerferlicht auf die Herausforderungen:
Konzentrierter Arbeiten
Uns steht immer mehr «technische Hilfe» durch Roboter, Elektronik und künstliche Intelligenz zur Verfügung. Die Computer übernehmen Routinetätigkeiten und all das, was planbar ist, Regeln unterliegt und programmierbar ist. Das Denken jedoch nimmt uns keine Maschine ab. Das machen wir als Wissensarbeiter selbst. Der Begriff Wissensarbeiter (Knowledge Worker), im Jahr 1959 von Peter Drucker geprägt, bekommt heute eine neue Bedeutung. Wissensarbeiter sind Mitarbeitende, die mit Informationen, Ideen und Fachkenntnissen arbeiten. Sie erbringen mit intellektueller Arbeit einen eigenständigen Beitrag zum Unternehmensergebnis. Bei ihnen steht Kreativität und Innovation im Vordergrund, und nicht so sehr die Erhaltung des Status quo. Peter Drucker sagte voraus, dass in der New Economy jeder Mitarbeiter ein Wissensarbeiter sein kann. Er beschrieb den Wissensarbeiter als jemanden, der mehr über seine Tätigkeit weiss als jeder andere in der Organisation. Wer zum Zukunft prägenden Knowledge Worker werden will, für den resp. die ist erhöhte Konzentration bei der Arbeit unabdingbar.
Cal Newport verwendet in seinem Buch «Konzentriert arbeiten», welches im Redline Verlag der Münchner Verlagsgruppe erschienen ist, den Begriff Deep Work. Er bezeichnet damit jene beruflichen Aktivitäten, die in einem Zustand ablenkungsfreier Konzentration ausgeübt werden. Deep Work ist nötig, um die geistigen Kapazitäten voll und ganz auszuschöpfen. Dafür müssen lange, zusammenhängende, ununterbrochene Zeitfenster für Gedankenarbeit geschaffen werden.
Mit Shallow Work beschreibt Cal Newport, der als Juniorprofessor für Computerwissenschaften an der Georgetown University in Washington, DC, arbeitet und forscht, das genaue Gegenteil dazu. Der Begriff Shallow Work beschreibt die vielen kognitiv anspruchslosen, leicht kopierbaren, logistik-orientierten Aufgaben, die häufig unter Ablenkung durchgeführt werden. Wer sich ständig in diesem Zustand befinden, verliert allmählich die Fähigkeit zum konzentrierten Arbeiten.
Unsere heutige (Arbeits-)Welt mit Kommunikationsmitteln wie E-Mail und SMS oder den sozialen Medien wie XING, Twitter und Facebook sowie allerlei anderen Infotainment-Seiten fragmentiert unsere Aufmerksamkeit zwangsläufig. Umso wichtiger ist es, sich gute Regeln zu setzen in dieser Welt voller Ablenkung.
Neues Lernen
Dass wir in der Welt von heute immer wieder etwas Neues lernen müssen, das ist den meisten klar. Doch wir müssen vor allem auch lernen, «neu zu lernen». Selbstverantwortliches lebenslanges Lernen gehört zum Selbstmanagement. Weiter dürfen wir lernen, wie individuelles Wissen mit demjenigen von anderen Spezialisten verbunden werden kann. Dazu braucht es neben grundlegender Technologiekompetenz auch Wissen über Datenanalyse, ein grosses und angstfreies Improvisationsvermögen sowie die Lernfähigkeit generell: Lust am selbstständigen Arbeiten, Urteilsfähigkeit und unternehmerische Kompetenz.
Die neue Art zu kommunizieren verändert die Art und Weise, wie Menschen ihre Fähigkeiten erwerben, ausbauen, verbinden und weiterentwickeln. Immer mehr Organisationen verabschieden sich vom hierarchischen Modell, in dem «oben» entschieden und «unten» ausgeführt wird. Wissen ist nicht hierarchisch. Und «Lernen» wie auch «Wissen» ist situationsabhängig, individuell und flexibel. Das heisst noch lange nicht, das ganz auf Führung von Prozessen und Strukturen verzichtet werden kann. Sie neu auszuhandeln, ist die Devise. Auch das darf immer wieder neu gelernt werden.
Weiter braucht es die Bereitschaft, «Altes zu verlernen». Verlernen ist eine Kunst, in der sich sowohl die Gesellschaft wie die Arbeitswelt üben muss, um die zukünftigen Aufgaben erkennen, beurteilen und bewältigen zu können. Mit kritischem Denken und offenem Geist muss jeder Einzelne für sich die Felder identifizieren, in denen sich der Abschied von altem Wissen lohnt oder gar unabdingbar ist.
Neue Modelle des Lernens und der Wissensaneignung entstehen. Sie werden gefördert, gelernt und geschätzt.
Emergentes Lernen ist eines dieser neuen Lernmodelle. Beim emergenten Lernen bilden sich spontan und ungeplant Lernergebnisse heraus, allein durch die Interaktion der Lernenden untereinander. Gruppen stellen Ressourcen zur Verfügung, bestimmen die Prozesse und in gewissem Umfange die Lernziele. Sie starten selbstorganisiert mit der Interaktion in der virtuellen oder physischen Welt, folgen dabei jedoch einer Struktur.
Echtzeit-Lernen, als ein weiteres neues Modell, beschreibt Lernen ohne ein allumfassendes Gerüst von Vorwissen oder Lösungen, auf das man sich bezieht. In Interaktionen miteinander werden neue Ziele und Lösungen entdeckt, die es zu verfolgen gilt. Es entsteht die Chance, direkt und unvoreingenommen festzustellen, welche Massnahmen greifen. Der Lernprozess stellt sich gleichzeitig mit der Erörterung der Probleme und der Beantwortung der Fragestellungen ein. Das stellt alte Denkmodelle infrage und zeigt, dass Lösungen aus sich heraus entstehen können. So bilden sich neue Wege des Lernens heraus.
Miteinander kooperieren
Die alte Regel «Wissen ist Macht» hat ihre Gültigkeit verloren. Mitarbeitende, die ihr Wissen nicht freiwillig, sondern nur bei für sie günstigen Bedingungen der eigenen Karriere an andere weitergeben, stellen sich mit diesem Verhalten über kurz oder lang selbst ins Abseits.
Für die heutigen Wissensarbeiter sind Austausch und Zusammenarbeit mit anderen gängige Praxis, sowohl innerhalb wie ausserhalb des Unternehmens. Nachhaltig operierende Firmen haben das realisiert und fördern daher Aktivitäten, dank welcher Wissen und neu zu gestaltende Prozesse oder echte Innovationen durch Beziehungen und aus Netzwerken heraus entstehen können.
Open Source Gemeinschaften sind ein gutes Beispiel. Die weltweiten Netzwerke freiwilliger Programmierer arbeiten mit hoher Motivation und Begeisterung an komplexen Projekten wie Linus, Firefox oder Wikipedia. Genau wie der Name es sagt, wird Wissen wie aus einer «Offenen Quelle» ohne hierarchische oder bürokratische Barrieren freiwillig miteinander geteilt und erweitert. Die Menschen begegnen sich und dem Können der Einzelnen mit hoher Wertschätzung, Anerkennung und Respekt.
Im Mittelpunkt steht die Expertise des Einzelnen sowie das gemeinsame Ziel. Da hemmen weder althergebrachte Hierarchien noch starre Regeln. Um in den Unternehmen smarter und flexibler zu arbeiten, orientieren sich viele Teams am Vorbild der Open Source Idee und lernen voneinander.
Das «Lernen vom Kollegen» zu fördern hat gute Gründe. Wenn Wissen von Mitarbeitenden freiwillig weitergegeben wird, profitieren alle im gesamten Unternehmen. Um internes Wissen effizient zu nutzen und das Lernen vom Kollegen zu ermöglichen, werden Online-Tools, spezielle Plattformen und zielgerichtete Konzepte eingesetzt. Vorhandenes Erfahrungswissen vergrössert sich, wenn man es teilt, und internes Wissen wird so zum Kapital der Zukunft.
Die Technisierung brachte lineare Effizienzverbesserung der Prozesse. Durch die Digitalisierung werden die Prozesse hinterfragt und erneuert. Jetzt ist der Zeitpunkt da, dass wir bei uns selber ansetzen. Lassen Sie uns unsere eigene Arbeit neu überdenken und so smarter und flexibler zu werden – oder es zu bleiben.
Ulrike Clasen, 22. August 2017